Squeezy-Chef Roger Milenk im Interview: Wie wird Sportlernahrung nachhaltiger? Roger Milenk von Squeezy im Gespräch: über Fruktose-Unverträglichkeit, kompostierbare Verpackungen, Müllvermeidung und warum Sporternährung mehr sein muss als Marketing.

Wie muss man sich das Umfeld Anfang bis Mitte der 90er Jahre vorstellen? Damals gab es das Team Telekom im Radsport, Lothar Leder im Triathlon.
An Lothar Leder kann ich mich noch ganz genau erinnern: Damals beim Hannover-Maschsee-Triathlon hat der auch seine Gels bei uns abgeholt. Da hatten wir einen kleinen Stand. Die Sportlernahrung war da noch in den Kinderschuhen. Ernährungstechnisch gab es eigentlich nur PowerBar – das waren damals tatsächlich diese recht harten Riegel. Dann gab’s, glaube ich, noch Isostar mit Pulverprodukten, und das war’s. Dazu gibt’s auch eine kleine Anekdote: Damals war Steven Marris der PowerBar-Importeur für Deutschland und Österreich. Wir waren uns eigentlich schon einig und hatten eine „Power Connection“ vereinbart, um PowerBar und Squeezy gemeinsam nach vorne zu bringen. Dann kam aber irgendwann die Show in Atlanta – und dort stellte PowerBar das PowerGel vor. Da war mir natürlich klar, dass Steven jetzt nicht mehr gemeinsam mit mir auf Veranstaltungen auftreten wird. Und so kamen im Laufe der Jahre immer mehr Hersteller auf den Markt.
Die meisten Sportgels basieren nach wie vor auf einer Mischung aus Glukose und Fruktose. Hat sich an diesem Grundprinzip in den letzten Jahrzehnten etwas verändert?
Ein wesentlicher Schritt war, die Kohlenhydratzusammensetzung deutlich breiter aufzustellen. Wir haben heute sieben unterschiedliche Kohlenhydratmixturen, die achte ist auf dem Weg. Eine Glukose-Fruktose-Mischung – das wäre ja nur Einfachzucker. Die guten Gels haben aus meiner Sicht aber immer einen höheren Anteil an langkettigen Kohlenhydrat-Polymeren – also eher im Stärkebereich – und dann einen kleinen Anteil an Einfachzuckern.
Das Wesentliche ist aber ein ganz anderer Umstand: 30 bis 40 Prozent aller Menschen auf der westlichen Hemisphäre leiden unter einer Fruktosemalabsorption. Es fehlt ein gewisses Protein in der Darmschleimhaut – Glut-5 heißt das – und deswegen gibt es bei oraler Aufnahme von Fruktose dann eben die typischen Magen-Darm-Probleme. Deshalb bieten wir auch viele Gels ohne Fruktose an. Da sind wir inzwischen also viel, viel differenzierter unterwegs.
Es gibt ständig neue Produkte, die die Verträglichkeit verbessern sollen – etwa durch magensaftresistente Mischungen und Ähnliches. Wie stehen Sie zu solchen Entwicklungen?
Also, wenn man mal zurückrechnet, bin ich jetzt 33 Jahre in diesem Bereich unterwegs. Es sind viele Marken gekommen und gegangen, und es wurden viele „Säue durchs Dorf getrieben“. Es gibt ständig neue Hypes, die behaupten, nur sie funktionieren. Das ist Quatsch. Wir Menschen sind so unterschiedlich – das gilt auch für das optimale Glukose-Fruktose-Verhältnis: 2 zu 1 oder sogar 1 zu 0,8 – ich hab eine einfache Frage: Was ist denn mit den 30 bis 40 Prozent der Athletinnen und Athleten, die eine Fruktosemalabsorption haben? Da funktioniert das Ganze ja schon nicht mehr.
Wie viel Energie ist unter Belastung überhaupt im Magen-Darm-Trakt verfügbar? Welche zusätzlichen Unverträglichkeiten gibt es? Wie viel Glut-5-Protein haben wir in der Darmschleimhaut – diese Fragen muss man in diesem Zusammenhang auch stellen. Also: Vieles ist, meiner Meinung nach, einfach Marketing. Und ich glaube nach wie vor, der beste Weg ist, dass jede Athletin und jeder Athlet viel testet – und für sich selbst herausfindet, was am besten funktioniert.
Thema Nachhaltigkeit: Bei Großveranstaltungen wie Marathons oder Triathlons sieht man oft große Müllberge – nicht nur an Verpflegungsstationen, sondern mitten auf der Strecke. Warum gehen viele Sportler gerade im Wettkampf so nachlässig mit dem Thema um?
Im Wettkampf kann ich es am ehesten nachvollziehen: Man ist „adrenalingeschwängert“ und fokussiert sich komplett auf die Leistung. Aber leider passiert das auch im Training. Ich kann mich erinnern – das muss zwischen 1995 und 1997 gewesen sein –, da bin ich auf Mallorca von Pollença nach Lluc hochgefahren. Und ich weiß noch genau, dass neben dem Passschild ein leerer Squeezy-Gelbeutel lag. Da habe ich damals einen dicken Hals bekommen und gedacht: ‚Wie kann man das einfach so hinschmeißen? Das liegt auch in 500 Jahren noch da.‘ In dem Moment ist mir klar geworden, was für ein Riesenproblem wir mit diesen kleinen Verpackungseinheiten haben – wie bei den Gels. Wenn jedes einzeln verpackt ist, entsteht eine Menge Müll. Das ist vielen gar nicht bewusst – und es betrifft sowohl den Wettkampf als auch das Training.
Sollte die Aufklärung darüber also zuerst bei den Sportlern ansetzen, die ihren Müll unachtsam in die Umwelt werfen?
Ja, aber für mich geht die Aufklärung noch viel weiter. Ein großes Problem ist nach wie vor, dass fast alle ihre leeren Energy-Gel-Sachets in die Gelbe Tonne werfen. Das liegt oft daran, dass sie nicht richtig gekennzeichnet sind – und am fehlenden Wissen. 99 Prozent, wahrscheinlich noch mehr, dieser Sachets bestehen aus Verbundstoffen – meist Kunststoff mit Aluminium – und die lassen sich nicht recyceln. Das ist unmöglich. Sie gehören also nicht in die Gelbe Tonne, sondern in den Restmüll – eigentlich sogar fast in den Sondermüll, wenn man ehrlich ist.
Wir haben vor zwei Jahren das erste Gel mit Monofolie auf den Markt gebracht. Aber wir haben schnell gelernt: Beim Liquid-Gel mussten wir wieder auf Verbundstoffe zurückgreifen – es kam immer wieder zu Undichtigkeiten. Jetzt arbeiten wir an der nächsten Lösung. Ziel ist ein Gelbeutel, der tatsächlich in die Gelbe Tonne darf – und dann auch recycelbar ist. Das ist ein Fortschritt, aber aus meiner Sicht nur ein kleiner.
Der nächste Schritt sind biobasierte Materialien, die nicht mehr aus fossilen Rohstoffen wie Erdöl gewonnen werden, sondern aus nachwachsenden wie etwa Zuckerrohr, Zellulose und so weiter. Aber auch hier muss man ehrlich sein: Die Abfallwirtschaft ist damit noch überfordert. Manche biobasierten Kunststoffe dürfen in die Gelbe Tonne, andere nicht. Es gibt auch Materialien, die als „kompostierbar“ gelten – das bedeutet aber: industriell kompostierbar. Die Vorschrift lautet: Nach 90 Tagen sollen 90 Prozent zersetzt sein. Nur – in der Praxis ist das ein Problem: Die meisten Recyclinghöfe haben gar keine Verweildauer von 90 Tagen.
Wir arbeiten inzwischen auch mit heimkompostierbaren Kunststoffen. Das funktioniert wirklich: Man kann sie zerschneiden, in den Kompost werfen – und wenn das Material TÜV-zertifiziert ist, zersetzt es sich komplett. Am Ende bleibt Dünger. Aber selbst das – und da bin ich ganz ehrlich – ist für mich nur eine Zwischenlösung. Warum? Weil wir alle – Veranstalter, Hersteller, Industrie und Athleten – viel weiter denken müssen: hin zu echter Müllvermeidung.
Was wären das zum Beispiel für Lösungen?
Wir bieten zum Beispiel alle unsere Gels auch in Refiller-Flaschen an, mit 0,5 oder einem Liter Inhalt. Dazu gibt es einen speziellen Softflask, den man immer wieder befüllen und danach reinigen kann. Das heißt: kein Müll durch Einzelsachets. Und man hat einen weiteren Vorteil – keine klebrigen Finger, wenn mal etwas nicht richtig aufreißt. Viel wichtiger aber: Man spart richtig Geld. Beim klassischen Gel sind das rund 45 Prozent.
Dann geht’s weiter mit den Veranstaltern: Wir haben gerade einen Vertrag für die LOWA Trail Trophy unterschrieben. Dort werden die Gels in Zehn-Liter-Kanistern geliefert. Die Athletinnen und Athleten können sich morgens vor dem Start – das ist ein Viertagesevent – ihren Softflask auffüllen. Die Kanister werden danach gereinigt und beim nächsten Event wiederverwendet. Das ist dann wirklich ein Kreislaufsystem, in dem Müll kein Thema mehr ist.
Einige Veranstalter verpflichten ihre Teilnehmer, die Startnummer auf Gels und Riegel zu schreiben, um Müll zu reduzieren. Braucht es solche Maßnahmen oder gleich mehrere Aktionen, damit Nachhaltigkeit wirklich gelingt?
Ich war zum Beispiel auf einer Veranstaltung vom Niedersächsischen Leichtathletik-Verband eingeladen, habe dort einen Vortrag zur Nachhaltigkeit gehalten und anschließend einen Workshop moderiert. Das war sehr spannend, denn tatsächlich hatten auch die anwesenden Laufveranstalter großes Interesse, Lösungen zu finden. Ich glaube, am Ende muss man ein Netzwerk spannen – von der Industrie, die Pappbecher oder bestimmte Umverpackungen herstellt, über die Markenhersteller von Sporternährungsprodukten bis hin zu den Veranstaltern. Da sollte es wirklich Roundtables geben, bei denen man sich zusammensetzt und überlegt: Was können wir gemeinsam tun?
Ich bin da guten Mutes, dass das kommt. Und ich glaube, so ein Roundtable zwischen Industrie, Markenherstellern, Laufveranstaltern, Radsportveranstaltern und Co. wäre ein großer Gewinn – das würde ich sehr begrüßen und hoffe, dass es davon in Zukunft viel mehr gibt.
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