Should I stay or should I go? Mit dem R2C2 bei Grinduro Germany

100 Kilometer mit knackigen 2000 Höhenmetern durch die vielfältige Landschaft der Eifel – das Debüt des Gravel-Events Grinduro Germany wurde wegen schwieriger Wetterverhältnisse zur Herausforderung für Material und Nerven. Ein Selbstversuch.

Text: Daniel Lenz / Fotos: red pixl / Leon de Bon 

Mit am Start: Ella Harris aus Neuseeland, 2018 Gewinnerin der Canyon-SRAM-Zwift-Academy und seitdem im gleichnamigen Racing-Team als Profi aktiv. 

Why does it always rain on me?

Scratchen oder nicht? Schon nach 25 km denke ich das erste Mal ans Aufgeben. Seit über eineinhalb Stunden peitscht der Regen ins Gesicht. Längst hat das Wasser einen Weg durch kleinste Öffnungen und Nähte an den Überschuhen gefunden und die Schuhe in Mini-Pools verwandelt. Mein Oberkörper ist noch warm, da die Regenjacke dicht bleibt – aber die Beine sind längst nass und kalt, angesichts der ungemütlichen Temperaturen unterhalb von 10 Grad im September. Wo sich der Wald lichtet, sorgen heftige Windböen dafür, dass jeglicher Rhythmus beim Treten unterbunden wird. 

Die Woche über hatte es bereits geregnet, doch am Vorabend waren die Veranstalter des Grinduro Germany optimistisch und hatten eine Wetterbesserung für den nächsten Tag in Aussicht gestellt. Das Gegenteil ist leider der Fall. Die ganze Nacht Dauerregen, der auch zum Start des Rennens im Grinduro-Basecamp, einem Campingplatz in Hellenthal in der Eifel, nicht Halt machte. 

Gutes Wetter geht anders.

Vier getimete Segmente

Beim ersten Anstieg – rund acht Kilometer lang aus dem Prether Bachtal bis auf fast 700 Höhenmeter zum Wolfsberg hinauf, im Wald auf hartem Kies – herrscht im Fahrerfeld noch gespannte Aufregung, die alle Wetterkapriolen überlagert: Was erwartet die fast 200 Gravelfans aus Deutschland, den Niederlanden und Belgien, aber auch aus entfernten Ländern wie den USA, Kenia oder Neuseeland bei diesem Event, das anders funktioniert als herkömmliche Offroad-Rennen? Bei dem die Zielzeit nicht auf der Gesamtzeit der etwa 100 Kilometer langen Schleife basiert, sondern auf vier zeitlich festgelegten Abschnitten: jeweils etwa fünf bis sieben Minuten – darunter Singletrail-Abfahrten und knackige Anstiege. Der bis zu 8 Prozent steile Weg zum Wolfsberg bietet eine gute Gelegenheit, sich mit den Mitfahrern über das Grinduro-Format zu unterhalten, das 2015 in Quincy, Kalifornien, entwickelt, seitdem international ausgerollt wurde und jetzt erstmals in Deutschland Station macht.

Andreas, Laura und Philipp aus dem Radclub R2C2 kämpfen mit Schlamm und Nässe…
… und, wie alle, mit steilen Anstiegen.

Muddy waters und Sägezahnprofil

Doch schon der zweite Anstieg stimmt ein auf die größte Herausforderung des Tages: muddy waters. Es geht rund sechs Kilometer hinauf zum Weißen Stein, dem deutsch-belgischen Grenzberg, der sich in der kalten Jahreszeit in ein Wintersportgebiet mit Langlaufloipen, Skipisten mit Skiliften und Rodelbahnen verwandelt. Ende September hat jedoch der massive Regen die zahlreichen Singletrails in Schlammpisten, mit tiefen Furchen und rutschigen Passagen, verwandelt – ein Charakteristikum eines Großteils der 100 Kilometer langen Strecke mit etwa 2000 Höhenmetern. 

Die R2C2-Delegation nachmittags am Feuer.

Das Sägezahnprofil des Kurses verlangt uns allen viel ab. Das ständige Auf und ab kostet viele Körner, erste Muskelfasern machen sich schmerzhaft bemerkbar. Das Tempo ist angesichts der schwierigen Bodenverhältnisse niedrig, teilweise geht es nur im Schritttempo vorwärts. Hier ist gute Fahrtechnik gefragt. Die breiten 45-Millimeter-Pneus von Schwalbe an meinem Rennstahl-Gravelbike halten zwar auch bei schwierigsten Downhill-Strecken die Spur – das Rad fährt wie ein Panzer, geht mir an dem Tag häufig durch den Kopf. Und auch bergauf verfügen die G-One Bite meist über genügend Grip, um nicht durchzudrehen. 

Als die Frau mit dem Leoparden-Look kommt

Sophie – auch nach dem Rennen gut drauf.

Doch das geht vielen Mitfahrerinnen und Mitfahrern anders. Laura und Philipp, die bei einer Verlosung des Radclub R2C2 Startertickets gewonnen und aus Hamburg angereist waren, haben bereits die ersten Stürze hinter sich. Beide kommen von der Straße, sind eher bei Langstreckenrennen wie der Mecklenburger Seen Runde (300 Kilometer) als im Gelände zu Hause, was jetzt auf den Eifeler Schlammpisten seinen Tribut fordert. Lauras Sturz auf den Arm blieb zwar ohne Bruch-Folge. Er heißt für sie aber: Das Rennen ist zu Ende, sie fährt gemeinsam mit ihrem Vereinskollegen wieder auf direktem Weg über die Straße zum Ausgangspunkt nach Hellenthal.

Einen Moment lang überlege ich, mich ihnen anzuschließen, nach gerade mal einem Viertel der Strecke. Denke ans wärmende Lagerfeuer auf dem Campingplatz im „Grinduro Village“. Doch da unterbricht eine herannahende Stimme die Scratch-Gedanken. Sophie war mir schon vor einigen Kilometern, als ich sie überholte aufgefallen, mit ihren Shorts mit Leopardenfell-Muster und ihren freundlichen Anfeuerungen für wirklich jeden, der an ihr vorbeifuhr – „Ride on! Wonderful event, isn’t it?“. Meint sie das ironisch? Ist sie wirklich so gut drauf? Ist sie.

Jetzt ist sie wieder da. Bei einer Gabelung, an die nach einer scharfen Linkskurve durch ein Dickicht eine steile Downhill-Passage anschließt, schließt sie wieder auf. Ein Dutzend Fahrerinnen und Fahrer pausieren hier gerade, schon erschöpft, vielleicht auch ein bisschen nervös, was sie hinter dem Dickicht erwartet. „Come on guys!“, ruft Sophie und reicht einen Flachmann herum, mit, wie sich beim ersten Schluck herausstellt, purem Whiskey darin. Der wärmt, macht Mut – und das Downhill-Segment danach zum Kinderspiel.

Graveln ist Community

Eine Fahrerin am Vortag bei der Uphill-Challenge – 800 Meter „Insane steep climb“

Mir wird wieder klar, dass diese Gravel-Events anders funktionieren als herkömmliche Rennrad-Jedermannrennen, die selbst in den hinteren Starterblöcken oft doch eher verbissen und im Ellbogen-Modus ausgetragen werden. Graveln ist Community, es geht nicht primär um Zahlen, Leistungen, sondern das Miteinander, das Gemeinschaftserlebnis. Das wurde schon am Vortag deutlich, als der Weg vom Campingplatz hoch zum Festzelt für eine Uphill-Challenge genutzt wurde: 800 Meter „Insane steep climb“ – jeder Absolvent wurde im Ziel frenetisch bejubelt. Die gleich gute Stimmung dann abends zur Siegerehrung, bevor anschließend Livemusik auf dem Programm stand – bei Grinduro ist freilich die „Party to Race“- wichtiger als die „Power to weight“-Ratio.

Zurück in den Dauerregen, in einen schattigen Wald, der immerhin ein paar Kilometer lang vor dem heftigen Wind schützt. Wieder steht eine Downhill-Passage an, minus 10 Prozent, vielleicht steiler, das Ganze durch tiefe Furchen, in denen Regenwasser steht. Ein Mann mit einem osteuropäischen Akzent wünscht mir auf Englisch viel Glück. Ich frage noch schnell, woher er kommt. „From Russia“, ruft er – und rast dann den Berg herunter. 

Russe auf der Flucht

Ein paar Kilometer später, bei der ersten Verpflegungsstation, treffe ich ihn wieder. Kiril, so sein Name, zittert am ganzen Körper. Fatalerweise hat er an dem Tag keine Regenjacke eingepackt, sein ganzer Körper ist inzwischen nass und ausgekühlt. Es dauert lange, bis er sich wieder im Trockenen, unter dem Zelt, erholt. Kiril erzählt seine Geschichte: dass er aus St Petersburg kommt, wegen seiner Opposition gegen Putins Regime verhaftet worden wäre – er daher mit seiner Familie im Frühjahr 2022 geflüchtet sei und jetzt in Wiesbaden lebe. Kiril lächelt, verabschiedet sich und steigt wieder aufs Rad.

Kiril aus Russland – friert maximal, aber was soll’s?

Es ist neben dem Geist der Gemeinschaft besonders die Vielfalt der Fahrerinnen und Fahrer, die Grinduro sowie vergleichbare Gravel-Events auszeichnet: Alt und Jung sind am Start, Beinahe-Newbies, Ambitionierte und Pros und Semi-Pros. Zu den Letzteren zählen diesmal etwa die frühere dänische Weltklasse-Radrennfahrerin Annika Langvad, die mehrfach Weltmeisterin war, und der belgische MTB- und Straßen-Profi Jan-Frederik Finoulst – die beiden sollten am Ende die Frauen- und Männer-Wertungen anführen. Außerdem der deutsche Bahn- und Straßenradrennfahrer Henning Bommel (mehrfacher Deutscher Meister auf der Bahn) sowie Ella Harris aus Neuseeland, 2018 Gewinnerin der Canyon-SRAM-Zwift-Academy und seitdem im gleichnamigen Racing-Team als Profi aktiv. 

Ob die englische Stimmungskanone mit Leoparden-Shorts oder der Exil-Russe, der Bahn-Champion oder die frühere Zwift-Königin – sie alle eint die Leidenschaft für Offroad, für die Natur, die alle TeilnehmerInnen und Teilnehmer für wenige Stunden gleich macht. Gravel verbindet – stärker als jede andere Radsport-Disziplin.

Im Zauberwald mit Andreas

Nach fast drei Stunden auf dem Rad wird der Regen allmählich schwächer. Erst jetzt werden der Blick und die Aufmerksamkeit frei für die fantastische, da ebenfalls extrem vielfältige Landschaft und die herrlich abwechslungsreiche Streckenführung. Es geht vorbei an Burgen und verschlafenen Dörfern mit liebevoll restaurierten Fachwerkhäusern; Waldwege folgen auf geschotterte Feldwege, Wiesenwege auf Wurzeltrails, bevor ruhige asphaltierte Straßen für etwas Entspannung sorgen. In einem Waldstück nahe des Manscheider Bachtals liegt eine Dunst-Schicht über den Bäumen. „Das ist ja wie ein Zauberwald“, schwärmt Andreas Schruff, Vizepräsident des Rennradteams Zugvogel Aachen, mit dem ich seit einigen Kilometern unterwegs bin.

Es klart auf, Halleluja!
Auch im Wald lässt sich die Sonne blicken.

Endlich kommt jetzt die Sonne heraus. Der Wind ist komplett abgeflaut, als wir zu einem der Segmente mit Zeitnahme kommen: „The Final Drop“ genannt, 2300 Meter lang, mit bis zu neun Prozent Gefälle. Es folgt eine rasende Abfahrt, die von den Schnellsten in unter drei Minuten gefinished wird. Bei anderen sehe ich, dass ihr Rad an der einen oder anderen rutschigen Stelle auszubrechen droht – mein süddeutscher „Panzer“ hält die Spur. 

Graveln führt zusammen

Nach dem „Drop“ folgen noch ein paar Kilometer, und Andreas und ich sind wieder am Ausgangspunkt, dem Campingplatz in Hellenthal, angekommen. Wenige Tage vor dem Event hatten die Veranstalter die Streckenführung angesichts der regnerischen Wettervorhersagen noch umgebaut, um den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Gelegenheit zu geben, bei der Halbzeit auszusteigen. Ein Drittel der Racer, ich bin darunter, folgen dem Angebot, um sich am Lagerfeuer aufzuwärmen und sich mit Getränken und Snacks zu stärken.

Salim im Ziel – auf Platz 10 der Gesamtwertung.

Die Entscheidung fühlt sich auch später noch gut an, denn: Ich habe mir fest vorgenommen, den zweiten Teil, rund 45 Kilometer, in Kürze nachzuholen – was drei Wochen später tatsächlich der Fall war, diesmal ohne Regen, sodass ich den hervorragend gescouteten Kurs und die liebliche Eifel-Landschaft auch in vollen Zügen genießen konnte.

Gravel verbindet – und führt zusammen. Am Abend, nachdem die letzten unerschrockenen Racer im Ziel angekommen waren, schaue ich mir die Ergebnisliste an und entdecke auf Platz 10 der Gesamtwertung einen weiteren Bekannten: Salim Kipkemboi, afrikanisches Radsport-Ausnahmetalent mit einer faszinierenden Geschichte, über die ich mich mit ihm im Sommer 2022 für den Radclub-Podcast „Outside is free“ unterhalten hatte. Als Teenager saß er in Kenia am Straßenrand und verkaufte Feuerholz, als einige Radsportler vorbeifuhren. „Warum fahre ich ihnen nicht einfach hinterher?“, dachte Salim seinerzeit. Schnappte sich sein ultraschweres „Black Mamba“-Lastenrad ohne Gangschaltung und ohne Bremsen und ließ sich von den Radsportlern auch am Berg nicht abhängen. Der Beginn einer Radsport-Passion, die Salim später sogar zum deutschen Rennrad-Continental-Team Bike Aid und das afrikanische Gravel-Team Amani führte. für Bike Aid siegte er in seinem ersten Jahr prompt bei der Königsetappe der Sharjah Tour, einem World-Tour-Rennen in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Im Grinduro-Basecamp entdecke ich ihn  inmitten seiner Amani-Kollegen. Das Gravel-Team sorgte zuletzt im August 2022 tragischerweise für Schlagzeilen: Bei einem Gravel-Rennen in Vermont stürzte Team-Captain Sule Kangangi und kam dabei ums Leben – Kangangi hatte mit seinen Erfolgen die kenianische Radsport-Szene so inspiriert wie Landsmann Eliud Kipchoge die Marathon-Community.

Salim (Mitte) wärmt sich mit seinen Amani-MitfahrerInnen auf.

Scratchen oder nicht? – vermutlich hat auch Salim nach dem Tod seines Teamkollegen ans Aufhören gedacht. Hat er nicht. Der Team-Spirit, das Gemeinschaftsgefühl der Gravel-Szene motiviert auch in schwierigsten Situationen. Mit entspanntem Gesicht blickt Salim ins Lagerfeuer. Gravel on, Salim.


Mein Rad: RENNSTAHL 853 TRAIL GRAVEL

Mein Stahl-Ross vorher und nachher…
Happy End: Daniel im Ziel

Das Gravelbike von Rennstahl liegt wie ein Panzer auf Straße, auf Wald- und Schotterwegen. Zwar ist es mit rund 10,5 kg Gewicht gerade an steilen Anstiegen eher schwerfällig; die gestreckte Sitzposition (585 Millimeter langes Oberrohr), der lange Radstand und der eher flache Lenkwinkel unterminieren überdies ultra-agile und wendige Lenkmanöver. Und doch überwiegen die klaren Stärken des Bikes: Das Trail Gravel verzeiht alles, sein Fahrverhalten wird von der sehr hohen Laufruhe auf allen Untergründen charakterisiert. Auf den 45 mm breiten Schwalbe-Pneus hält das Rad stets die Spur, wo andere ins Schlingern geraten – ob über Schlamm oder groben Steinen. Die hochwertigen Carbon-Anbauteile an der Front – sie stammen von der Rennstahl-Schwester-Firma Parapera – bescheren dem Stahlrad eine hervorragende Dämpfung. Hervorzuheben ist auch die breite Entfaltung der Campagnolo-Ekar-Schaltung: Das Kettenblatt vorne hat 38 Zähne, hinten ist eine 9-42-Kassette mit 13 Ritzeln verbaut. Die Konsequenz: Bei Abfahrten lässt es sich auch dann noch kurbeln und beschleunigen, wenn andere Fahrer längst schon im Ruhemodus sind.  


Über die Grinduro-Serie

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Grinduro Germany im Schnelldurchlauf

Grinduro Germany ist Teil einer internationalen Event-Serie, die 2015 in Quincy, Kalifornien, gestartet wurde. Das Konzept: Grinduro ist eine Mixtur aus Schotterstraßenrennen und Enduro im Mountainbike-Stil – also der Kombination aus verschiedenen Etappen mit Zeitmessung und ohne Zeitmessung. Die Events beinhalten eine lange Schleife aus Asphalt und Schotter, bei der die Zielzeit nicht auf der Gesamtzeit der Schleife basiert, sondern auf vier zeitlich festgelegten Abschnitten: jeweils etwa fünf bis sieben Minuten – darunter Singletrail-Abfahrten und knackige Anstiege. Im September 2022 fand in Hellenthal (ca 60 Auto-Minuten von Köln entfernt) in der Nähe des Eifel Nationalparks das erste deutsche Grinduro statt. Die Neuauflage ist für 5. bis 7. Mai 2023 geplant.

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