Wintertraining im Zeichen von Corona – Tipps und Tricks vom Radlabor

Ein Artikel von Uli Plaumann, Radlabor

Die Corona-Pandemie hat die Radsaison vieler SportlerInnen auch in diesem Jahr beeinträchtigt. Bei vielen ist der Saisonhöhepunkt erneut ausgefallen. Doch es muss ja nicht immer ein Rennen/Marathon/Großveranstaltung sein. Dieses Jahr konnten wir (zwar alleine, aber) befreit, ohne Druck bis zum Tag X fit sein zu müssen, trainieren. Ihr habt uns zurückgemeldet, dass ihr das Radfahren zum Teil wieder aus einer anderen Perspektive wahrnehmen konntet. Teilweise mit ganz neuen Zielen, wie einem Everesting, als reines Naturerlebnis und mit Spaß und keinem schlechten Gewissen, wenn man den Schweinehund in diesem Jahr auch mal sich selbst überlassen hat. Doch eines ist auch klar: Wir fiebern wieder der ‚alten‘ Normalität entgegen.

Alte Normalität – Ruhepause? 

Normalerweise sind im September die letzten Rennen und Veranstaltungen . Im Oktober und November legen die meisten Sportler eine Pause ein. Diese ist absolut wichtig. Das ruht Körper und Geist aus, und hält die Motivation hoch, weil man sich auch mal anderen Dingen widmen kann.


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Gilt das auch in einem Jahr wie diesem? Macht eine Pause Sinn, oder sollte man lieber weitertrainieren? 
Eine klare Antwort darauf gibt es nicht. Jeder sollte die Frage für sich individuell beantworten und auf das Vergangene schauen. Dafür haben wir weiter unten ein paar Situationen zusammengetragen, die helfen, sich sportlich weiterzuentwickeln. Das Gute an der jetzigen Situation: Wir sind ‚früh dran‘ und man darf es erstmal ruhig angehen. Braucht der Köper eine Pause weil man in diesem Jahr viel trainiert hat, so sei sie ihm gegönnt. Hat man es in diesem Jahr eher wenig gemacht, dann lässt sich die sonstige ‚Pausenzeit‘ natürlich jetzt schon nutzen.

Erstmal muss man sich keinen Druck wegen des Trainings machen. Denn bevor wir in die gezielte Vorbereitung mit ausgiebigem Grundlagentraining starten, sollte vor allem der Spaß an oberster Stelle stehen. Wenn es das Wetter noch hergibt, darf man ruhig nach einer Tour mal noch einen Einkehrschwung machen. Je nach Region gibt es vielleicht den ersten Neuen Wein, einen netten Biergarten oder ein leckeres Eis. Oder auch mal ganz neue Wege einschlagen; sich die Wochenenden freihalten und mit dem Auto ein paar Kilometer weiterfahren, um die Runde dort anzufangen, wo es normalerweise wieder nach Hause geht. 

Wenn das Wetter schlecht aussieht, dann darf man das Rad gerne einfach mal stehen lassen. Hier bieten sich auch Ausgleichssportarten an, oder Training mit dem Smarttrainer auf der Rolle.

Welche Ausgleichssportarten sich anbieten, haben wir übrigens in diesem Artikel ( Ausgleichssport – Ist das was für mich?) für euch kurz zusammen gefasst. 

Saisonabschluss – Frieden schließen 

In jedem Fall ist es wichtig mental mit der Saison abzuschließen. Dieses Jahr und diese Saison tanzen klar aus der Reihe. Daher: Abhaken, und den Fokus schon jetzt auf das kommende Jahr legen. Für jede Saisonplanung empfehlen wir immer zuerst den Rückblick auf das Vergangene.

Trotz einer Saison mit ausgefallenen Höhepunkten lohnt sich der Blick auf das eigene Pensum und das „Hineinhorchen“ in den eigenen Körper. Dafür haben wir ein paar grundlegende Situationen aufgegriffen, die helfen an den eigenen Schwächen zu arbeiten und für die nächste Saison einen neuen Fokus zu setzen. Wichtig ist trotz Allem immer noch die Grundlage für die nächste Saison mit langen und langsamen Einheiten im Winter zu legen. Intensivere Einheiten mit Intervallen und Sprints sind nur mit ausreichender Grundlage zielführend. Im Folgenden wollen wir uns mit typischen Problemsituationen auseinandersetzen, die der ein oder andere sicherlich aus eigener Erfahrung kennt.

Aktive Arbeit an eigenen Schwächen 

Unsere kleine Auflistung dreht sich um Situationen, die jeden Sportler auf unterschiedliche Art und Weise beschäftigen, sich aber mit gezieltem Training deutlich verbessern lassen.

Problemstelle 1: Standvermögen
Kenne ich das?
Ich zeige erste Ermüdungserscheinungen schon in der Mitte meiner Einheiten Schon bei kurzen Anstiegen komme ich schnell in den roten Bereich Nach langen Ausdauereinheiten mit geringer Intensität (GA1) fühle ich mich müde und schlapp. 

Warum ist das so?
Es fehlt ein gut ausgebildeter Fettstoffwechsel. Die Fähigkeit lange Fett als Energiequelle nutzen zu können und Kohlenhydratspeicher zu schonen. Das Ermüdungsgefühl stammt meist von leeren Glykogenspeichern.

Was kann ich tun?
Verstärkt lange Einheiten (ca. 3h) mit geringer und gleichmäßiger Intensität ins wöchentliche Training einbauen. Mindestens 1x pro Woche. Wichtig dabei: Sich zügeln, solche Einheiten bewusst steuern (Watt/Puls) und auf niedriger Intensität halten. Keine Intervalle einbauen. Und die Kollegen am Ortsschild einfach fahren lassen. Für eine sinnvolle Steuerung sollten die Leistungsbereiche per Diagnostik bestimmt sein. 
Natürlich spielt hierbei auch die Ernährung eine wichtige Rolle. Nach dem Training sollte man darauf achten Kohlenhydrate aufzunehmen, denn die werden zu Glykogen umgewandelt und füllen die Speicher auf.

Problemstelle 2: Keine Kraft am Berg 
Kenne ich das? 
Größe Gänge am Berg halte ich nicht lange durch Wird es steil, fangen Beine und Lunge an zu ‚brennen‘ Je länger der Anstieg, desto mehr Quälerei ist es für mich. Das Anfangstempo kann ich nicht halten und werde immer langsamer 

Warum ist das so?
Ursache ist eine niedrige anaerobe Schwelle. Der Körper kommt schnell an seine Grenzen und bringt die Muskeln in den Beinen in die Übersäuerung. Das Gute: an der Schwelle kann man arbeiten und sie nach hinten verschieben.

Was kann ich tun? 
Verstärktes Training im Grundlagenausdauerbereich und verstärktes (Kraft-)Training am Berg. Für das Bergtraining einen moderat und gleichmäßig steigenden Berg aussuchen, einen hohen Gang einlegen, diesen bei nur 40-60 U/min und mittlerer Intensität (um die eigene anaerobe Schwelle) durchdrücken. Ein solches Intervall sollte zwischen 4-10 Minuten dauern und 3-4 mal während des Trainings wiederholt werden. Die aktive Pause dauert jeweils so lange wie das Intervall. Wichtig dabei: weitertreten, damit das Laktat aus den Muskeln besser abtransportiert wird. Dieses spezielle Training sollte ganzjährig integriert werden und ca. alle 10 Tage in die eigene Tour einbauen werden. 
Für noch mehr Power, kann man zusätzlich im Fitnessstudio auch die Maximalkraft verbessern. Beim Rollentraining oder auf dem Fitnesstrainer bieten sich Kraftsprints an: Jeder Kraftsprint dauert eine Minute: 20-30sec mit 50-70 U/min bei einem Bergaufwiderstand kraftvoll antreten, die Restzeit mit geringem Widerstand weiter pedalieren. Diese Sprints mehrmals hintereinander durchführen.

Problemstelle 3: Explosivität fehlt 
Kenne ich das? 
Aus Kurven heraus fällt mir das Beschleunigen schwer Nach ein Paar kräftigen Antritten oder Ortsschildsprints verliere ich den Anschluss In Sprints gegen die Kumpels bin ich nicht konkurrenzfähig 
Warum ist das so? 
Die Muskeln sind nicht an kurze Belastungsspitzen und Tempowechsel angepasst. Sie schaffen das schnelle Umschalten nicht und können die Übersäuerung während der Einheit nicht gut tolerieren bzw. bei der Weiterfahrt abbauen. Die Ursache ist also eine niedrige Laktattoleranz und der langsame Abbau von angefallenem Laktat. 
Was kann ich tun? 
Trittfrequenztraining gewöhnt die Muskeln an hohe Kadenzen. Dafür kann man versuchen 10 Minuten mit einer Frequenz von 120 U/min zu fahren. Oder man steigert sich per Frequenzpyramide jede Minute um 10 U/min, angefangen bei 80 U/min bis zu 130 U/min. Insgesamt sollte man Antritte mit hoher Frequenz und geringer Intensität immer wieder ins Training einbauen. Aus der Belastung antreten: 10 Minuten zügig fahren und dann mehrmals für 6-10 sec sprinten. Zwischen den Sprints nicht die Beine hochnehmen, sondern im zügigen Ausgangstempo weiterfahren, bis nach 2 Minuten der nächste Antritt für 6-10sec folgt. 
Die Explosivität sollte nur mit einer ausreichenden Grundlage trainiert werden. Hat man diese noch nicht, sollte man erstmal lange und ruhige Einheiten absolvieren und sich an höhere Intensitäten erst zu einem späteren Zeitpunkt herantasten.

Problemstelle 4: Keine Tempohärte (im Wettkampf) 
Kenne ich das? 
Ich komme im Wettkampf nicht an mein Limit, im Ziel fühle ich mich nicht wirklich ausgepowert und bei Tempoverschärfungen kann ich nicht gut, oder gar nicht, folgen. 

Warum ist das so? 
Auch hier liegt es an der Laktattoleranz bei intensiven Belastungen und Tempowechseln. Mit einer zu geringen Laktattoleranz lassen sich mehrmalige Antritte und konstant hohes Tempo nicht durchstehen. Die Muskeln schaffen den Abtransport des Laktats nicht ausreichend und ermüden. 

Was kann ich tun? 
ACHTUNG: nur mit genügend Grundlage absolvieren! Hochintensive Intervalle brauchen einen fitten Körper! Für eine Verbesserung der Tempohärte muss oberhalb der anaeroben Schwelle mit Intervallen trainiert werden. Aber Vorsicht, die Dosis ist entscheidend. 
Um konstant hohes Tempo zu simulieren empfehlen sich 4-minütige Intervalle im Entwicklungsbereich. Die Pause danach sollte ebenfalls mindestens 4 Minuten betragen. Die Maximalzahl von 5 Intervallen während der Einheit sollte nicht überschritten werden. Für die Simulation verschiedener Situationen die Intervalle wechselweise an Anstiegen und im Flachen trainieren. 
High Intensity Training: Solche Intervalle sind, wie es der Name schon sagt, hochintensiv und setzen einen extremen Reiz für die Muskeln. Sogenannte ‚All-out-Sprints‘ übersäuern die Muskeln komplett und häufen ordentlich Laktat an. Ein All-out mit voller Power sollte maximal 30 Sekunden dauern. Wichtig mit diesem Baustein sehr sparsam umgehen, weil der Körper gestresst wird. 2-3 Sprints in einer Stunde sonst lockerem Ausdauertraining reichen am Anfang voll aus. Danach 1-2 Ruhetage einlegen, um dem Körper Zeit zum Kompensieren zu verschaffen.

Problemstelle 5: Frühjahrsschwäche trotz viel Wintertraining 
Kenne ich das? 
Erste Rennen oder intensivere Einheiten fallen am Ende/nach dem Winter sehr schwer. So richtig gut und fit fühle ich mich meist erst zur Jahresmitte/im Herbst. 
Warum ist das so? 
Das Training war zwar umfangreich, es wurden viele Kilometer ‚abgespult‘, aber es fehlte an spezifischen Reizen und Belastungen mit Intervalltraining. Es fehlt insgesamt an Spritzigkeit und Schnelligkeit. 
Was kann ich tun?
Ist die Grundlage in den Monaten November bis Januar gelegt, sollte man anfangen zu variieren. Gezielt gegen Ende des Wintertrainings Blöcke einbauen, in denen intensive Intervalle vorkommen. Nach kleineren Wettkämpfen oder Belastungsproben Ausschau halten. Trainingsrennserien, Jedermmann-Crossrennen oder Volksläufe setzen erste intensive Reize und steigern die Vorfreude auf die Saison.

Auf sich selbst hören
Das Wichtigste zum Schluss: Jeder Mensch reagiert anders auf bestimmte Belastungen und das Radfahren ist nicht der einzige Zeitvertreib im Leben. Deswegen ist es wichtig sich selbst einzuschätzen und nach eigenen Bedürfnissen und Möglichkeiten zu trainieren. Sich an Anderen oder gar an Profis zu orientieren ist meistens nicht der zielführende Weg. Um sich selbst und die Trainingsbelastungen einzuschätzen hilft es ein Trainingstagebuch zu führen, in der heutigen Zeit mit digitalen Lösungen ist das auch gar nicht kompliziert. Darin eintragen was für Einheiten und Intervalle trainiert wurden, wie man sich dabei und danach gefühlt hat und welche äußeren Faktoren (Stress im Job) einen vielleicht sonst noch beeinflusst haben. Damit kann man sich auch realistisch in Bezug auf die eigenen Ziele einschätzen und bekommt einen Überblick wieviel Wochenstunden man überhaupt für das Training zur Verfügung hat beziehungsweise welche Wochenintensitäten man durchstehen kann. 
Ein Trainingstagebuch macht die Analyse von vergangenen Saisons und an welchen Stellen man sich verbessern kann, deutlich leichter.

Autorin: Uli Plaumann

Uli ist Sportwissenschaftlerin, Laborleiterin des Radlabors München, Radguide und vieles mehr. Ihr Anspruch ist es jeden Sportler so zu beraten und zu betreuen, dass er/sie das Beste aus sich herausholen kann. Und das immer mit einem Lächeln.

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